Eine lebensnahe und bildhafte Sprache war die selbsterklärte Maxime Martin Luthers. Seine Schriften sind durchwoben von Sprichwörtern, neuerdachten Ausdrücken und Metaphern, die seine Sprache einprägsam machen. So sehr, dass sich unser Maul einiger Wendungen noch heute bedient. „Aufs Maul Geschaut“ widmet sich Luthers Sprache im Medium der Ausstellung. Acht der von ihm geprägten Redewendungen und Wortschöpfungen bilden den Ausgangspunkt für acht installative Aufbauten.
Aufs Maul Geschaut is an experimental exhibition about language in Martin Luther’s writing. His distinct language, figurative and vivid, is filled with of proverbs, new expressions and metaphors. The exhibition takes eight of these neologisms as inspiration for eight spatial installations.
BUCH MIT SIEBEN SIEGELN — In die glatte Oberfläche von Buchenrinde, die sie zu kleinen Tafeln formten, ritzten die Germanen magische Zeichen. Wie sehr sprachliche Praktiken unwiederbringlich mit der medialen Entwicklung verbunden sind erfährt, wer sein Ohr an die Baumrinde legt und den Erzählungen von Stephan Krass lauscht.


[7 Buchenstämme, Lautsprecher, MP3-Spieler, Verstärker, Bewegungssensoren, Eichenholzkeile, Text: Stephan Krass]
BUCH MIT SIEBEN SIEGELN — For Germanic peoples, one of the first information carriers was the bark of beech trees. The beech forms the epistemological beginning of the german word for Letter: Buchstabe. By placing an ear on one of the tree stumps, visitors encounter how language and media history are intertwined.


[7 beech stumps, speaker, MP3-player, amplifier, motion sensors, wooden wedges, text: Stephan Krass]
ALLES HAT SEINE ZEIT — Das Zerteilen und Verfeinern von Zeit ist dem Begriff selbst eingeschrieben. Der indogermanische Wortstamm bedeutet unter anderem „etwas zerteilen“ und „zerreißen“.

[2000 Papierbögen unterteilt in 51 Einzelstapel mit Leimbindung zum Abreißen, Eichenholzgestell]
DER MENSCH IST ZUR ARBEIT GEBOREN WIE DER VOGEL ZUM FLIEGEN — Zwischen Plackerei und Berufung hat, was Arbeit bedeutet, seit der Antike zahlreiche Wendungen erfahren. Sprache liegt sozialen Systemen als ein symbolisches zugrunde. Zwischen „Klassenarbeit“ und „Arbeitsklima“ lassen sich von immer neuen Wortzusammensetzungen kulturelle Wandel ablesen.

[26 Leuchtanzeigen, 4 Eichenholz-Stative, 4 Reissäcke, Lautsprecher, Verstärker]
Als in den Raum übersetzte Experimente versuchen die Installationen verschiedene Aspekte seiner sprachlichen Ausdrucksweise, aber auch Wortbedeutungen und Begriffsgeschichten sinnlich erfahrbar zu machen. Wie der Sprechakt selbst ist dieses Vorgehen performativ. Einzelne Sprachlaute artikulieren einen Chor, Schriftzeichen werden zerrissen, das tägliche Brot wird dargeboten: Luther wird beim Wort genommen, ein Vorhaben mit offenem Ausgang.
Similar to the act of speech itself, the experience is performative: Single syllables turn into a choir, letters are torn apart, dust distorts speech over time. Luther is taken literally.
Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin 2015 in Zusammenarbeit mit der Literaturwerkstadt Berlin, Thomas Wohlfahrt, Friedrich W. Block, Stefan Krass, Monika Rinck, Moritz Fehr, Nele Brönner, Neli Wagner, Andreas Schmelas, Marian Kaiser, Olga von Schubert, Quadrature
Exhibition at the Akademie of Arts Berlin 2015 in collaboration with Literaturwerkstadt Berlin, Thomas Wohlfahrt, Friedrich W. Block, Stephan Krass, Monika Rinck, Moritz Fehr, Nele Brönner, Neli Wagner, Andreas Schmelas, Marian Kaiser, Olga von Schubert, Quadrature
ZU STAUB WERDEN — Staub steht im Christentum für den Kreislauf von Wachstum und Verfall. Über den Ausstellungszeitraum schreiben sich mehr und mehr Staubpartikel akustisch in die Klangspur einer Schallplatte ein: Die Zeit wirkt sich auf den Klang der abgespielten Sprache aus.


[Plattenspieler, Schallplatte, Verstärker, Kopfhörer; loop, 10:01 min, Text: Jonas Weber Herrera]
ZU STAUB WERDEN — In Christian mythology, dust represents the cycle of growth and decay. Over the course of the exhibition more and more dust particles leave traces on the sound track of a vinyl record. Time affects the sound of recorded speech.


[Record player, vinyl record, amplifier, headphones; loop, 10:01 min, Text: Jonas Weber Herrera]
AUFS MAUL GESCHAUT — Angeordnet wie ein Kammerchor geben acht Klangkörper fragmentarisch die acht in ihre lautlichen Eigenschaften sezierte Redewendungen der Ausstellung wieder. Ihr Zusammenspiel gleicht der Suche nach der richtigen Artikulation – mit der Bereitschaft, kläglich zu scheitern.

[6 Sperrholzplatten, 2 Kupferplatten, Stative, Körperschallwandler, Verstärker, Bildschirme, Audio-Interface]
AUFS MAUL GESCHAUT — Eight sound objects are spatially arranged like a choir. They play back fragments of words, depending on their phonetic characteristics. The compositions resemble the often unsuccessful search for words.

[6 wooden boards, 2 copper plates, tripods, sound pressure transducer, amplifiers, screens, audio-Interface]
ES IST NICHT GUT, DASS DER MENSCH ALLEIN SEI — Sprachgeschichte rekonstruiert: Am Beginn, im Indogermanischen, steht der Mensch allein und als geschlechtsneutrales Wesen. Die zeichnerische Aneignung der Begriffsgeschichte dehnt sich aus, verdichtet und verknotet sich, weist Brüche und Risse auf: Die Kartografie eines lebendigen Prozesses, dessen Ende nicht in Sicht ist.

[Bleistift auf Papier, Zeichnung: Nele Brönner, Text: Neli Wagner]
The history of language is reconstructed through the act of drawing. In the beginnings of indo-germanic language, the human is a gender-neutral being. The visualized history of a term expands, concentrates and intertwines. There are breaks and cracks. The cartography of a living process without an end.

[Pencil on paper, drawing: Nele Brönner, text: Neli Wagner]
Photo schnepp · renou
Photo schnepp · renou

Aufs Maul Geschaut